Gefangene Gedanken

von David Tritscher

Manchmal läßt du die Gedanken frei und manchmal sperrst du sie ein.
Gefangene Gedanken sind in deinem Kopf, doch irgendwann werden sie ziehen.
Irgendwann werden sie ziehen und dann sind sie frei.
Nichts hält sie noch zurück und nichts hält sie noch bei dir.
Sie ziehen in die Weite hinaus, denn sie sind jetzt frei.
Sind sind jetzt frei und nicht mehr gefangen.


David Trischer Kurzbiografie

David Tritscher, geboren 1999, wohnt in Wien und besucht seit September 2017 die IFIT-Schule. Er steht sehr gerne im Rampenlicht und liebt es, Texte zu schreiben. Besonders wohl fühlt er sich mit Erwachsenen, freut sich aber über Freunde in seinem Alter. Obwohl er nur 10% Sehrest hat, kommt David sehr gut ohne Hilfsmittel im Alltag zurecht.


Laudatio
von Franzobel:

Die Gedanken, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind frei, zumindest behauptet das ein altes Volkslied. Aber vielleicht sind die Gedanken gar nicht so frei, vielleicht sitzen sie gefangen wie Kanarienvögel im Käfig unserer Köpfe und tirilieren, zwitschern oder krächzen. Vielleicht denken die Gedanken nur, dass sie frei sind, obwohl sie bloß das denken können, was jemand anderer bereits vorgedacht hat. Möglicherweise ist ja das Nachdenken nur ein Hinterherdenken von Gedanken, die längst ausgedacht, also zu Ende gedacht sind. Die Gedanken sind so frei, so etwas zu denken und dass dies hier möglich ist, verdanke ich dem großartigen Text von David Tritscher, einem der heutigen Preisträger, der den Titel „Gefangene Gedanken“ trägt und nichts weniger macht als die gefangenen Gedanken zu befreien – auch von Sätzen, die behaupten, dass sie frei wären, die Gedanken, was sie nicht sind, so lange sie noch, wie es im Gedicht heißt, bei dir sind. Nein, wir müssen sie ziehen lassen, in die Weite hinaus müssen wir sie ziehen lassen, erst dann sind sie nicht mehr gefangen.

Schön, dass sich so ein Denken über Gedanken einem Text von einem Dichter mit Lernschwierigkeiten verdankt und damit zeigt sich vielleicht auch, dass vieles von dem, was wir über solche „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ denken, alles andere denn frei ist.

David Trischer ist noch sehr jung und seine Ziele hat er im Lebenslauf mit kreativ arbeiten, Texte schreiben und Musik machen definiert. Er ist 1999 in Wien geboren, besitzt noch 10 Prozent Sehfähigkeit und den Rest können Sie sich vielleicht denken, darin sind Sie frei.

Ich gratuliere ihm herzlich, bedenke, äh bedanke mich für den hervorragenden Text, und wünsche ihm für seinen weiteren Lebensweg alles Gute.


Auszug aus der Jurybegründung
von Franzobel:

David Tritscher gelingt es mit Gefangene Gedanken auf verblüffende Weise das bekannte Volkslied von den freien Gedanken noch einmal zu wenden, um im freien Umgang die Gedanken, die bei ihm gefangen sind, noch freier zu machen. Ein nur scheinbar einfacher Text mit großer gedanklicher Tiefe, dessen Souveränität absolut preiswürdig ist.


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