Langsam werden

von Melanie Koller

In der Früh stehe ich auf, schaue beim Fenster raus. Ich sehe den
Streuwagen, der die Straßen und Gehwege streut. Ziehe meine
Schuhe und Jacke an.

Denke mir, wenn ich bei der Türe hinaus gehe, dass es glatt ist.
Werde langsam sein, beim Gehen, dass ich nicht ausrutsche.
Ich werde langsam beim Arbeiten, dass meine
Weihnachtsgeschenke schön werden. Ich werde in meiner
Küchengruppe beim Arbeiten langsam werden. Elisabeth sagt, du ich
habe 2 T-Shirtaufträge für dich. Würdest du es machen? Ja, aber
langsam und genau werde ich es machen. Sie sagt, in Ordnung. Du
kannst es langsam machen.

Ich trinke vorher eine Tasse Kaffee mit meinem Kollegen Jürgen, und
sage zu ihm, langsam trinken. Er ist heiß.

Hat nicht lange gedauert, bin ich mit meiner Tasse fertig. Ich gehe
langsam zu meiner Arbeit. Wenn ich zu Hause in meiner Wohnung
bin, muss ich meinen Weihnachtsputz machen. Ich mache es
langsam. Ich habe einen kleinen Christbaum bekommen, den werde
ich langsam schmücken, sonst fallen die Kugeln runter. Ich bin froh,
dass ich nicht mehr so schnell, sondern langsam bin. Ich bin froh,
dass ich gelernt habe langsam zu arbeiten. Meine Kollegin Denise hat
mich für mein langsames Arbeiten, als Weihnachtsgeschenk auf
eine Tasse heisse Vanille-Schokolade eingeladen. Ich sage danke.

Heute sind wir gute Freundinnen geworden.


Literaturpreis Ohrenschmaus Preisträgerin KOLLER Melanie Kurzbiografie

Melanie Koller, geboren 1978, ist in Wien aufwachsen. Ihre ersten Berufserfahrungen hat sie bei der MA 48 und in verschiedenen Werkstätten gesammelt. Derzeit wohnt sie im Waldviertel und arbeitet bereits seit 14 Jahren in der Tagesstätte Zuversicht. Zu ihren Hobbys zählen Lesen, Musik hören und Tanzen.


Laudatio
von Felix Mitterer:

„Langsam werden.“ Das können wir alle uns zu Herzen nehmen. Wie sind wir doch viel zu schnell und hektisch.  Alles muss in Sekundenbruchteilen erledigt sein. Die ganze Welt ist viel zu schnell. Immer rasender drehen wir uns um uns selbst. Ach, so viele von uns sind längst aus der Bahn geraten. „Langsam werden“, herunterschalten, zur Ruhe kommen.  Dann geht alles besser. Danke, Melanie Koller, für das gute Beispiel, den guten Ratschlag.


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