Die Seele

Geschrieben von Silvia Hochmüller

Meine Seele läuft mit immer davon.

Das merke ich, das krieg ich mit.

Die Seele hat keine Füße, die Seele hat Flügel.

Die Seele muss mit mir reden.

Ich war nicht einverstanden als meine Seele gegangen ist. Ich hole sie mir zurück. Nächste Woche.

Das geht mir auf die Seele, das geht mir auf die Nerven.

Mein Herz ist durcheinander.

Ich soll mich nicht fallen lassen, sonst wird es nichts.

Sonst bricht die ganze Seele zusammen. Wie ein Erdbeben, ein Vulkan.


Literaturpreis Ohrenschmaus Preisträger Silvia Hochmüller Kurzbiografie

Silvia Hochmüller hat ihre Schulpflicht in der Landesonderschule St. Isidor und St. Pius, beides Einrichtungen der Caritas für Menschen mit Behinderungen Linz, absolviert. Anschließend trat sie in die Werkstätten St. Pius ein. Im Bereich Handwerk und Montage, arbeitet sie und setzt verschiedene technische Kleinteile zusammen.

Sie war in den vergangenen Jahren in der Bildhauergruppe des jährlichen Künstler-Workshops. Dabei fiel auf, dass sie zu ihren Skulpturen wunderbare Geschichten erfand. Ab September 2011 kommt sie regelmäßig in die Literaturgruppe von St. Pius.

Silvia Hochmüller besucht die Jongliergruppe, einmal wöchentlich zum Training und sie ist dort ein wichtiges Mitglied. In ihrer Freizeit singt sie beim Chor St. Pius, mit diesem Chor hat sie zahlreiche Auftritte. Außerdem spielt sie Tischtennis und Boccia.


Laudatio
von Heinz Janisch:

Sehr geschätzte Damen und Herren,

ich möchte Ihnen eine Frage stellen:
Haben Sie heute Ihre Seele mit?
Ist sie da? Oder – sind Sie sich nicht ganz sicher?
Kann schon vorkommen, dass man seine Seele mal verliert, auf dem Weg, beim raschen – oft viel zu raschen- Unterwegssein durch den Alltag.
Kann schon vorkommen, dass man selber gut weiter kommt, und plötzlich merkt man: Hoppla, da fehlt doch was! Hab ich da etwas gar nicht mitgenommen oder vielleicht auf dem Weg verloren?
Kann schon vorkommen, dass man schnurstracks seinen Weg geht und sich doch verirrt, weil man auf Vieles vergessen hat, zum Beispiel auf die Umwege.
Kann schon vorkommen, dass sie einem, aus lauter Ärger, davonläuft, die Seele, so wie es Silvia Hochmüller in ihrem Text „Die Seele“ eindrücklich beschreibt.
„Meine Seele läuft immer davon“ ist da zu lesen.
Und: “Ich war nicht damit einverstanden, als meine Seele gegangen ist.“
Ich wäre auch nicht einverstanden mit so einem Verlust. Niemand von uns sollte damit einverstanden sein. Wer damit einverstanden ist, dass er seine Seele verloren hat, der hat viel nicht verstanden.
„Meine Seele läuft immer davon.“ Das ist ein Bild, das weh tut.
So will man nicht so zurückbleiben, so seelenlos.

Es ist ja schon erschreckend genug, dass einem da und dort Menschen begegnen, die so wirken, als hätte sich ihre Seele bereits aus dem Staub gemacht. Solche Menschen lassen einen oft sprachlos und traurig zurück. Da will man wenigstens bei sich selber auf der Hut sein.
Silvia Hochmüller ist in ihrem beeindruckenden Text auf der Hut.
Sie schaut hin und spürt nach und merkt: Jetzt heißt es aufpassen!
„Mein Herz ist durcheinander“ ist im Text zu lesen. Eine ehrliche Bestandsaufnahme. Aber – was ist zu tun?
Ein alter Warnruf aus Kindertagen kommt einem plötzlich in den Sinn.
„Nimm dich zusammen!“ – Der Befehl von damals klingt mit einem Mal hilfreich, ja sogar tröstlich: Nimm deine Teile wieder zusammen, such das Ganze, schau, was alles zu dir gehört. Nimm dich zusammen, wie ein Puzzle, Stück für Stück, mach wieder ein Ganzes aus Dir!
Da gehört unbedingt auch die Seele dazu. Vergiss sie nicht! Sei gut zu ihr! Schau zu, dass sie dir nicht davonläuft, weil sie so gar nicht zufrieden ist mit dir und deiner Unruhe und deinem Durcheinandersein.
Silvia Hochmüller hat die Jury nicht nur mit ihrem Text „Die Seele“ beeindruckt. Die ganze Text-Gruppe, die sie geschickt hat erschien uns beim Lesen lobenswert und preiswürdig,
„Bei der Freude bin ich nervös“ heißt es in einem Text über die Freude. “Ist die Freude zu Ende oder geht sie noch weiter? Schwierig. Freude war am Freitag in Freistadt.“
Da war sie spürbar, die Freude, punktgenau, an diesem Freitag in Freistadt. Wo die Freude anfängt und wo sie zu Ende geht? Wer vermag es zu sagen? Eine gute, schwierige Frage. So wie die Frage nach der Seele.

„Ich bin nicht glücklich“ – so lautet die Überschrift zu einem anderen Text. Es ist nicht einfach, mit der Freude, manchmal spürt man eben wirklich, dass sie zu Ende geht.
„Heute ist ein dummer Tag, seit gestern schon.“

In einem anderen Text denkt die Autorin über den Glauben nach: „Wenn Sturm ist, merk´ ich den Glauben“ ist da zu lesen.
In einem anderen Text macht sie sich Gedanken über „Das „Geheimnis“:
„Gestern hab´ ich eines geholt. Es war ganz leicht.“
So leicht, wie die Seele möchte man sagen, die –wahrscheinlich, weil sie so leicht ist – so leicht verlorengeht.
Fünf Texte ohne Namen, versehen mit einer Nummer, sind der Jury vorgelegen. Wir alle waren uns einig, dass einer dieser Texte einen Preis erhalten soll.
Ich wurde für die Laudatio ausgewählt, ohne zu wissen, wer diese wunderbaren Texte verfasst hat.
Inzwischen weiß ich es, und ich freue mich doppelt.
Zum einen, weil es großartige Texte sind. Zum anderen, weil ich Silvia Hochmüller kenne.
Gemeinsam mit dem Künstler Robert F. Hammerstiel durfte ich zehn Jahre lang im Rahmen von Workshops in St. Pius in Steegen-Peuerbach in der dortigen Caritas-Einrichtung Fotografie-und Schreibkurse abhalten. Es waren spannende Wochen, in denen wir die Medien Fotografie und Literatur miteinander verbunden haben.
Einmal war auch Silvia Hochmüller mit dabei, die sich sonst aber vor allem in der Bildhauer-Gruppe als hervorragende bildende Künstlerin gezeigt hat.
Silvia Hochmüller ist Bildhauerin, sie ist Schriftstellerin, sie ist eine Frau mit vielen Talenten.

Zu meiner großen Freude ist aus unserer damaligen Foto-Literatur-Gruppe auch bei den Ehrenpreisen ein Teilnehmer dabei, Herbert Schinko mit einem Text über die „Stille“.
„Die Stille soll schön bleiben. Die Stille ist mir lustig“, schreibt er in seinem Text, von dem wir in der Jurysitzung auch nicht wussten, wer ihn verfasst hat.
Es ist kein Zufall, dass Herbert Schinko schon mehrmals unter den Ausgezeichneten war. Da schreibt ein Autor Texte die die Jury –Jahr für Jahr- immer wieder neu überzeugen.
Ein Kreis schließt sich. Ich freue mich für die beiden, ich freue mich für St. Pius, und ich freue mich für den heimlichen Schutzengel von St. Pius, Resi Klaffenböck, die dort die Literaturgruppe leitet und als guter Geist für Vieles zuständig ist.

Kehren wir zurück zu Silvia Hochmüller.
Sie hat ihre Schulzeit in der Landessonderschule St. Isidor und in St.Pius, beides Einrichtungen der Caritas für Menschen mit Behinderungen absolviert. Dann trat sie in die Werkstätten St. Pius ein, wo sie heute im Bereich Handwerk und Montage arbeitet.
Bei ihren Skulpturen im Rahmen der Bildhauergruppe bei den jährlichen Künstler-Workshops fiel auf, dass sie die Fähigkeit hat, mit ihren Skulpturen Geschichten zu erzählen. Das kann sie auch mit Worten. Seit dem Jahr 2011 besucht sie regelmäßig die Literaturgruppe von St. Pius.
Ich habe gesagt, Silvia Hochmüller ist eine Frau mit vielen Talenten.
Neben dem Schreiben und der künstlerischen Tätigkeit muss auch das Singen beim Chor St. Pius und ihre Mitwirkung bei der Jongliergruppe erwähnt werden.

Weil Silvia Hochmüller auch klug und gekonnt mit Worten zu jonglieren weiß und mit ihren Texten Vieles in Schwebe bringt wird sie heute als Schriftstellerin geehrt.

In ihrem Text über die Seele, die immer davonläuft, findet sich ein Satz, der uns alle angeht.
„Ich hole sie mir zurück“ steht da.
Silvia Hochmüller spricht diesen Satz für uns alle aus.
Ich möchte daher – am Ende dieser Laudatio- meine Frage vom Anfang wiederholen:
Haben Sie heute Ihre Seele mit?
Wenn nicht, dann wissen Sie – dann wissen wir alle- was zu tun ist:
Wir holen sie uns zurück!

Ich gratuliere Silvia Hochmüller – im Namen der Jury- ganz herzlich zum Ohrenschmaus-Literaturpreis 2015!


Auszug aus der Jurybegründung
von Heinz Janisch:

„Dieser Text klingt wie ein Selbstgespräch, wie ein Aufschrei. Man spürt ein tiefes Erschrecken darüber, dass immer wieder etwas verloren geht, in einem selbst. Es ist ein Appell an das eigene Ich, die Seele nicht aus dem Blick zu verlieren…“

 


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