Der Durchbruch des Kindes in mir

Geschrieben von Ruth Oberhuber

Regen, Nebel, dann Sonne und Licht.
Der Wind geht eisfischen.
Ich nehme alles wahr.
Ich höre den Bach klingen.
Ich wische mir über meine Augen und bemerke, dass ich geweint habe.
Ich hatte keinen Ausweg oder ich habe ihn nicht gesehen.
Ich wollte bleiben.
Es war nicht mein Lebensweg, den ich gehen wollte.
Aber, ich bin ihn gegangen.
Ich wollte sehen, ob ich leben kann.
Ich dachte nicht an die Welt.
Ich habe mich als Welt gesehen.

Warum habe ich diesen Text geschrieben?
Ich bin heuer von zu Hause ausgezogen.

Sommergewitter

Ich stehe vor meinem Fenster, das Atmen fällt mir schwer.
Es ist für mich sehr anstrengend. Das Herz ist sehr langsam geworden.
Für mich ist es wie ein Gewitter.
Da kommt die Spritze.
Ich glaube, ich falle aus dem Bett heraus.
Aber deine Hand hält mich.
Ich glaubte, dass es vorbei sei, aber es wurde noch schlimmer.
Der Atem ist stockend.
Die Hand beruhigt mich sehr, weil ich sie auf die Brust legen kann.
Sie ist ein Doktor.
Sie sagt nur keine Angst, ich helfe dir.
Ich sage, Danke.

Warum habe ich diesen Text geschrieben?
Weil ich am Abend im in der Waldheimat Angst habe.

Die Freiheit ist wie ein Kuss, den man bekommt

Meine Tränen sind wie ein dichter Regen, der strömt.
Er strömt durch mich aus. So ein Regen weint. Ich werde nass.
Die Sonne ist verschwunden, nur der Regen ist da.
Es ist nicht schön, wenn es dunkel wird.
Ich bin fast erfroren vor Kälte.
Es kommt jemand.
Es ist mir mulmig, ich habe Angst.
Ob er mich sieht?
Er ist vorbeigegangen, hätte ich mir denken können.
Ich war für ihn nicht wichtig.

Da auf einmal kam die Sonne über mich. Sie trocknete mich.
Ich bin wieder lebendig. Aus der Stille ist Leben geworden.
Ich stehe auf einem Fels, der Fels ist vom Meer umgeben.
Man hört Möwenrufe.
Die Sonne zeigt sich noch kurz wie ein Feuerball, so rund ist sie.
Sie schickt ihre Strahlen zu mir.
Aus Angst wird Friede.
Dieser Friede legt sich über das Leben.

Jetzt ist die Freiheit voll und ganz spürbar. Sie ist wie ein Kuss, den man bekommt.

Warum habe ich diesen Text geschrieben?
Ich habe keine leichte Zeit.

Der Augenblick

Der Augenblick des Ausziehens – es tut weh.
Mein Herz klopfte wild.
Der Abschied von mir war wie ein Brief, den ich gelesen habe.
Da rutschte er mir aus der Hand.
Da war der Moment der Stille da.
Da fließen schon die Tränen aus den Augen.
Das eine Auge von mir und das zweite Auge meiner Mama weinten.
Die Verbindung ist noch da.
Ich bin gegangen.
Der Weg ist nicht so lang.

Warum habe ich diesen Text geschrieben?
Ich bin von Zuhause ausgezogen.

Die Blätter können dich hören

Blätter verfärben sich schnell, da staunt man.
Auch Iris steht da und kriegt nicht genug zu sehen.
Der Wind geht und die Blätter fallen herunter und legen eine Decke auf den Boden der Straße,
genau dort wo Iris steht.
Man steht auf, weil man leben will, aber das Schicksal nimmt seinen Lauf und will, dass du
aus Zufall lebst.
Du schreist das Leben an.
Die Blätter können dich hören, weil sie keine Geburtsschmerzen haben.
Sie sind still.
Das ist hilfsbereit, einfach still zu sein.
Nichts tun.
Nur leben, wie die Blätter im Licht der Sonne.

Nebel im Frühling

Ich war noch eine kleine Blume.
Doch dann kam die warme Sonne über mich. Im Sonnenlicht fing ich an aufzugehen und zu blühen.
Und dann stand ich offen da in meiner Farbenpracht.
Dann war die Sonne weg und sehr langsam kam der furchtbare Nebel und ich fing an zu
weinen, denn ich hasse den Nebel.
Ich habe sehr lange warten müssen, bis der Nebel weg war.
Da konnte ich wieder aufatmen, weil ich befreit worden bin.
Der Nebel ist für mich wie eine Person, die gestorben ist.

Warum habe ich diese Texte geschrieben?
Weil ich die Natur sehr mag.

Vampire

Es war einmal eine alte Kiste.
Darin waren zwei Augen, die blutrot waren.
Es waren Gestalten, die dich fingen und dich einsperrten.
Und sie hören, dass du schreist.
Dann waren sie wieder fort.
Da auf einmal hattest du Angst.
Da überkam dich eine Panikattacke und du schriest noch lauter nach Hilfe.
Dann wurdest du schwächer.
Du warst in der Kiste drin.
Du wolltest raus, um in den Spiegel zu schauen.
Du wolltest sehen, ob du noch lebst.
Gott sei Dank warst du kein Vampir, sondern ein kleiner Vogel.

Warum habe ich diesen Text geschrieben?
In Gallneukirchen gab es eine Ferienaktion mit Kindern. „Nacht der Vampire“.


ruth_oberhuber_lyrikRuth Oberhuber

 


Auszug aus der Jurybegründung
von Heinz Janisch:

Bei den vielen schönen Lyriktexten, die heuer beim “Ohrenschmaus” eingereicht wurden, überzeugten ganz besonders die Gedichte von Ruth Oberhuber, die mit poetisch starken Worten vom Erwachsenwerden und dem von zu Hause ausziehen erzählt. (…)


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